Joss Whedon - Autor und Produzent

Nach den Drehbüchern zu dem Computer-Animationsfilm TOY STORY und dem Science-Fiction-Horror ALIEN IV - DIE WIEDERGEBURT (ALIENS - RESURRECTION) ist Joss Whedon im Moment einer der am stärksten umworbenen Autoren der Traumfabrik. Gerade einmal Ende Dreißig steht er als Kopf hinter seiner eigenen Produktionsgesellschaft Mutant Enemy Inc., die seit dem Sommer 1997 einen großen Entwicklungs- und Produktionsdeal mit der 20th Century FOX hat und als Creator, Autor und Mitproduzent von BUFFY - IM BANN DER DÄMONEN, dem Überraschungshit unter den Fernsehserien der späten neunziger Jahre, auf dem Zenit seiner nunmehr gut dreizehnjährigen Karriere und es sieht noch lange nicht so aus, als ob er die Spitze seines Erfolgs erreicht hätte.

Aber trotz dieses sensationellen Aufstiegs, der ihn innerhalb eines Jahrzehnts von einem unbekannten Autor im Team von ROSEANNE zu einem der begehrtesten Schreiber im Horror- und Action-Kino gemacht hat, sind seine Gefühle gegenüber Hollywood zwiespaltig. Seit BUFFY THE VAMPIRE SLAYER, Fran Rubel Kuzuis Adoption seines ersten Filmdrehbuchs, begegnet er der Traumfabrik mit einer gewissen Skepsis, die aus der Enttäuschung über den Film geboren wurde, der aus seiner Vorlage geworden ist. Die schmerzliche Erkenntnis, dass der Drehbuchautor zwar eine wichtige und zentrale Stellung innerhalb der Entstehung seines Filmes hat, aber eigentlich keine Macht besitzt, also auch keinen wirklichen Einfluss darauf hat, wie der Film am Ende aussieht, wirkt heute noch nach.

Wirklich heimisch fühlt sich Joss Whedon im Moment allerdings beim Fernsehen. Denn hier hat er als Creator und hauptverantwortlicher Autor zweiner Serien die Macht und die Kontrolle über die Umsetzung seiner Visionen, die er im Kino an andere abtreten muss. Deshalb ist er 1995/96 auch sofort auf das Angebot der Produzenten und Rechteinhaber vun BUFFY eingegangen, die Idee seines Filmdrehbuchs in den Stoff für eine Fernsehserie zu verwandeln. So konnte er zu einem Projekt zurückkehren, das ihm immer noch sehr am Herzen lag und bekam gleichzeitig die Chance noch einmal alles ganz neu zu machen, seinen ursprünglichen Traum von einer Geschichte zu realisieren, die Horror, Komik und Action verbindet, ohne dass das eine dem anderen widerspricht. Hier kann Whedon nun endlich seine Obsessionen ausleben und seine Sicht auf die Welt und das Leben vor uns ausbreiten. Deshalb ist BUFFY - IM BANN DER DÄMONEN von all seinen Projekten das persönlichste und das, das ihm am meisten bedeutet, auch mehr als TOY STORY, für dessen Drehbuch er immerhin zusammen mit seinen Co-Autoren eine Oscar-Nominierung bekommen hat.

"Ich glaube, High School ist deshalb zu einem so beliebten Hintergrund für neue Shows geworden, weil es keine andere Zeit im Leben gibt, die so sehr einer Fernsehserie ähnelt, sei es nun eine Horror-Show, eine dramatische Serie oder etwas ganz anderes. Während man zur Schule geht, erscheint alles im Leben viel bedeutender, viel dramatischer, es wirkt viel stärker auf einen. Ich denke, dass es keine andere Phase im Leben gibt, in der man so fühlt wie in der Schulzeit." Diese von Joss Whedon einem Interview geäußerte Einschätzung der Bedeutung der High-School-Zeit mag der Schüssel sein, der Erklärungen für den Erfolg von BUFFY liefert. Ganz sicher aber ist sie der Schlüssel zum Verständnis von Joss Whedons Vision. Denn diese Sicht auf die Schulzeit, die sich mit seiner Überzeugung verbindet, dass dieser Abschnitt des Lebens reinster Horror ist, dem sich niemand entziehen kann, steht hinter jeder Folge der Serie. Sie ist zugleich ihr Rückgrad und ihre Seele, durch sie drückt sich Joss Whedons Persönlichkeit ganz direkt aus. Wie er selbst sagt, dient BUFFY ihm auch dazu, es allen heimzuzahlen, mit denen er zur Schule gegangen ist. So befreit er sich von den Dämonen seiner Jugend und gibt ihnen das Gesicht, das sie in der Imagination aller sensiblen Jugendlichen mit einer überbordenden Phantasie haben.

"Für mich war die high School ein Horrorfilm", sagt Joss Whedon und fürht weiter aus: "Mädchen wollten mich nicht einmal mit einem Stock berühren." So ist ihm, der in Manhatten aufgewachsen ist und selbst als "seltsames, schwer zu mögendes Kind" bezeichnet, seine Zeit an der exklusiven New Yorker Riverdale School alles andere als in angenehmer Erinnerung geblieben. Sein letztes Schuljahr hat er dann am Winchester College, einer für ihre hohen Ansprüche berühmten, reinen Jungen-Schule in England, verbracht. Diese Zeit, die er größtenteils genutzt hat, um die Klassiker zu studieren und ins Kino zu gehen, ist so wie die Schulerfahrungen in Amerika die Grundlage für das Universum, das Whedon für BUFFY entworfen hat und in dem sich durch die Figur des Wächters Rupert Giles die alte und die neue Welt verbinden.

Nach dem Abschluss in England ist Joss Whedon nach Amerika zurückgekehrt und hat dort das kleine, aber dafür um so exklusivere Wesleyan College in Connecticut besucht. Seine Erinnerungen an die Jahre am Connecticut River sind schon um einiges positiver als die an die Schulzeit. Eigentlich schon Amerika-typisch beherrschten Partys und der Wille, möglichst viel Spaß zu haben, diese Phase in seinem Leben. Nachdem er sein Studium im Hauptfach Film abgeschlosen hatte, stand für ihn fest, dass er als Autor arbeiten wollte. Damit folgte er einer Tradition innerhalb seiner Familie, denn sein Großvater John Whedon hat für Fernsehshows wie LEAVE IT TO BEAVER, THE DONNA REED SHOW und THE DICK VAN DYKE SHOW geschrieben, sein Vater Tom war Autor bei Serien wie ALICE, BENSON und THE DICK CAVETT SHOW, bevor er dann THE GOLDEN GIRLS produziert hat.

Um überhaupt erstmal einen Weg in die Film- und Fernsehindustri zu finden, hat Joss Whedon zunächst in kürzester Zeit mehrere Entwürfe für Drehbücher geschrieben, sogenannte Spec Scripts, das heißt Drehbücher, die ein Autor schreibt, ohne dafür einen Auftrag zu haben und die er dann an verschiedene Produktionsgesellschaften in der Hoffnung verschickt, dass eine von ihnen sein Script kauft. In Whedons Fall gab es aber nichts als freundliche, wenngleich bestimmte Absagen. Allerdings öffnete sich dann eine andere Tür für ihn, der am liebsten für Serien wie THE SIMPSONS oder TWIN PEAKS geschrieben hätte, als er einen Job als Autor bei der äußerst beliebten Sitcom ROSEANNE erhielt. Nach einem Jahr, in dem auch sein erstes fertiggestelltes Drehbuch - das zu BUFFY THE VAMPIRE SLAYER (BUFFY, DER VAMPIRKILLER) - entstanden ist, hat er das Team der Serie verlassen, um sich mehr auf Hollywood und das Kino zu konzentrieren. Eine Entscheidung, die sich als richtig erwies, da er noch im selben Jahr, 1988, das BUFFY-Script an Sandollar Productions, eine von Dolly Parton und ihrem Manager Sandy Gallin gegründete Produktionsgesellschaft, verkaufem konnte.

Allerdings vergingen zwischen dem Verkauf des Drehbuchs und dem eigentlichen Produktionsbeginn etwa drei Jahre. In dieser Zeit hat Joss Whedon kurzfristig wieder beim Fernsehen als Co-Produzent und Autor der NBC-Serie PARENDHOOD (ELTERN SEIN DAGEGEN SEHR) gearbeitet. Nachdem BUFFY, mit dem er selbst gar nicht zufrieden war, in die Kinos gekommen war, bekam seine Hollywood-Karriere allerdings einen neuen Schub. 1993 konnte er sein Spec Script SUSPENSION an Largo Entertainment verkaufen. Die Produktion dieses als DIE HARD (STIRB LANGSAM) auf einer Brücke beschriebenen Films sollte auch relativ schnell beginnen, doch dann brach Largo alle Vorbereitungen ab und SUSPENSION verschwand in der Development Hell. Niemand weiß so recht, warum der Film nicht gemacht wurde. Allerdings vermuten einige Fachleute, dass der Misserfolg von Stephen Hopkins' auch von Largo produzierten JUDGEMENT NIGHT den Ausschlag gegeben hat. Man wollte zu diesem Zeitpunkt wohl keinen zweiten Misserfolg im Action-Genre riskieren.

1993/94 erhielt Whedon dann seinen ersten Job als Script Doctor, also als Autor, der kurz vor Produktionsbeginn bzw. während der Dreharbeiten hinzugezogen wird, um das vorhandene, von jemand anderem geschriebene Drehbuch noch einmal zu überarbeiten und Schwächen auszubügeln. Er bearbeitete das Script zu Jan De Bonts SPEED. Während SPEED seinen Triumphzug antrat, arbeitete Whedon erneut als Script Doctor, diesmal an Kevin Costners und Kevin Reynolds' WATERWORLD, der auf Grund seiner chaotischen Produktionsgeschichte und den Unsummen an Geld, die er verschlungen hat, berühmt wurde, lange bevor er ins Kino kam. Die Arbeit mit dem Superstar Costner, der sich während der Dreharbeiten von Reynolds trennte, war allerdings für Whedon alles andere als eine positive Erfahrung. Auch er, der später kein Drehbuch-Credit bekam, wurde im Prinzip ein Opfer des allgemeinen Dreh-Chaos und der Egomanie Costners.

Im September 1994 kaufte dann Columbia Pictures Whedons Spec Script AFTERLIFE. In ihm geht es um einen Wissenschaftler, der sein Gehirn nach seinem Tod in den Körper eines jüngeren Mannes verpflanzen lässt. So will er Zeit für seine Forschungen und seine von ihm über alles geliebte Frau gewinnen. Doch der Körper, der sein Gehirn übernimmt, gehört einem Serienmörder. Wie schon bei SUSPENSION wollte man auch hier sofort mit der Produktion beginnen, als Star war Jean-Claude van Damme vorgesehen. Doch als der Action-Star aus dem Projekt ausstieg, änderten auch die Bosse von Columbia ihre Meinung und legten das Drehbuch auf Eis.

Als nächstes folgte für Whedon die Arbeit an Disneys erstem großen Computer-Animationsfilm TOY STORY. Auch hier kam er erst hinzu, als die produkion schon angefangen hatte. Seine Aufgabe war es, die beiden eher unsympathischen Hauptfiguren in Charaktere zu verwandeln, die die Zuschauer mögen und mit denen sie sich identifizieren können. Seine Arbeit an TOY STORY brachte Whedon zusammen mit den anderen sechs in den Credits genannten Autoren eine OSCAR-Nominierung für das beste Original-Drehbuch ein. Der Preis ging dann allerdins an Christopher McQuarrie für sein Script zu Bryan Singers THE USUAL SUSPECTS (DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN).

Aber die Nominierung brachte ihn zu einem der bestbezahlten Autoren unter den Script Doctors, was sich sofort bemerkbar machte, als man ihn angagierte, das Drehbuch zu Jan de Bonts Katastrophen-Thriller TWISTER zu überarbeiten. Sein gefestigter Ruf innerhalb Hollywoods zeigt sich auch darin, dass er nach seiner OSCAR-Nominierung zum ersten Mal von einem Studio den Auftrag bekam, ein neues Script zu schreiben. Twentieth Century Fox gab bei ihm das Drehbuch zum vierten Teil der ALIEN-Saga in Auftrag, der im Herbst 1997 unter dem Titel ALIEN - RESURRECTION in die Kinos kam.